IBM Selectric - Das letzte mechanische Wunder
BRUMM ... TACK RATTER - TACK RATTER - KLING ... - TACK RATTER - TACK BRRRRRT - BRUMM ...
So oder so ähnlich könnte man das markante Betriebsgeräusch dieser faszinierenden und hochkomplexen Maschinen lautmalerisch umschreiben. Der korrekte deutsche Gattungsbegriff für diese Maschinen lautet "Kugelkopf(schreib)maschine" aber es gab nicht all zu viele Kopien des äußerst komplexen Mechanismus.
Laut dem IBM-Werbespot sind sie das Beste, was dem Schreiben seit Erfindung der Elektrizität passiert ist.
Gebaut für die Ewigkeit
Die von IBM im Zeitraum von ca. Mitte 1961 bis 1986 produzierten Schreibmaschinen aus der Serie Selectric sind durchaus vergleichbar mit Militärfahrzeugen und hier sind meine Gründe, die dafür sprechen:
- Sie sind so robust und schwer gebaut wie Militärfahrzeuge und wiegen schlappe 22 Kilogramm.
- Sie sind im Gebrauch auch so laut wie Militärfahrzeuge, so dass man ein mit diesen Geräten vollausgestattetes Büro nur mit Gehörschutz betreten sollte.
- Wie Militärfahrzeuge, fressen auch sie Unmengen an Energie. In dem Fall 40 Watt für den elektrischen Antriebsmotor.
- Sie klingen wie Schnellfeuerwaffen, wenn man eine Taste mit Wiederholungsfunktion drückt, z.B. Leerzeichen, Bindestriche, Unterstriche oder Zeilenvorschub.
- Sie wurden in beinahe jeder zivilen oder militärischen Verwaltung der westlichen Hemisphäre eingesetzt.
- Zur Wartung dieser Maschinen muss man Mechaniker sein und mit dem Öl nicht sparsam sein.
Die IBM Selectric schwirrt schon seit meiner Kindheit in meinem Kopf. Ich weiß nicht mehr genau wie, aber als Kind hatte ich wahrscheinlich durch meine Mutter, die Büroschreibkraft war, früh Kontakt zum Zehn-Finger-Schreiben und damit auch dem Thema Schreibmaschine zu tun. Mich faszinierte aus den spärlichen Informationen, die man damals ohne das Internet nur mündlich bekam, die Erzählung, dass es Maschinen gibt, die mit einem Ball / einer Kugel Buchstaben auf Papier schlagen.
A typewriter so different, only the alphabet remains the same
Diese Maschinen waren bei ihrem Erscheinen im Jahr 1961 so revolutionär, dass erst der Siegeszug des PCs in den 1980er Jahren sie endgültig abzulösen vermochte. Die Möglichkeit, die Schriftart, den Schnitt und den Zeichenabstand einfach durch Austausch des Typenelements zu wechseln, war bis dahin unvorstellbar.
Eine gewöhnliche Schreibmaschine mit beweglichen Lettern, war ab Bau für "immer" auf ihre Schriftart festgelegt. Deshalb war es durchaus nicht ungewöhnlich, mehrere Maschinen mit unterschiedlichen Konfigurationen vorzuhalten.
All das war mit der Selectric nicht mehr notwendig: Nur noch eine Maschine und mehrere Typenelemente für die Schriftarten.
Mit dem PC begann der Schreibmaschinenmarkt zu sterben, denn schließlich gab es keinen Grund mehr, direkt das Papier oder Formular zu bearbeiten, wenn man es zuvor beliebig digital bearbeiten und korrigieren kann.
Es gab mit der IBM MT/ST Bestrebungen, den genialen Mechanismus der Selectric mittels digitaler Steuerung und dem Anschluss eines Speichers eine Daseinsberechtigung des sich andeutenden Wandels zu geben. Schließlich verdiente IBM mit der Wartung des komplexen Mechanismus viel Geld. Eine digitale Anbindung war auch überraschend einfach realisierbar, da die Eingabe über die Tastatur der Selectric bereits digital erfolgt:
Je nach gedrückter Taste werden über Hebel und deren Abtastung bis zu Fünf Bits gesetzt, die von einem "Whiffletree"-genannten Mechanismus in die Rotation und Neigung des Kugelkopfes übersetzt werden. Diese Fünf Hebel des Whiffletree muss man digital mit kleinen Motoren ansteuern und den Mechanismus, zur Bewegung und Auswertung, mit anderen Motoren in Gang setzen. Schon hat man die Selectric digitalisiert.
Zur Funktionsweise des Whiffletree gibt es ein fantastisches, leider nur auf englisch verfügbares Video. Aber zum Verständnis der Funktionsweise reichen die Animationen vollkommen aus:
Wegbereiter
Letztendlich war die volldigitale Textverarbeitung am PC aber deutlich flexibler, leiser, skalierbarer und vor allem sehr viel schneller. Ein sehr teurer Drucker konnte von mehreren günstigeren PCs angesteuert werden und so höher ausgelastet werden. Ein Formular, eine Liste oder anderere repetitive Aufgaben konnten nun blitzschnell am PC kompiliert und Zehnfach, Hundertfach oder Tausendfach absolut perfekt reproduzierbar ausgedruckt werden. Eine Umschulung des Personals war nur für der Bedienung des Textbearbeitungsprogrammes und der Bedienung des PC notwendig. Die Tastatur ist immer noch die gleiche geblieben: QWERTZ / QWERTY.
Mit der Selectric begann auch der Siegeszug der noch heute in Peripheriekreisen hochgeschätzten mechanischen IBM-Tastaturen. Mit der dritten Generation der Selectric kann man tatsächlich vom Urahn der IBM Model M-Tastatur sprechen. Die schwarzen Tasten lassen das später zum Industriestandard gewordene Design erahnen. Mehr dazu gibt es weiter unten im Abschnitt zur Selectric III.
Das taktile Feedback der Tastatur meiner Selectric II und Selectric III ist abgöttisch gut. Mit einer solchen Maschine zu schreiben, ist sehr befriedigend und erfordert wenig bis gar keine Anstrengung. Das ist dahingehend wichtig, da ich mich auf den rein mechanischen Maschinen, wie der Olympia SG-1 und der Erika 32, eher auf das Tippen mit ausreichend Kraft und gleichzeitiger Präzision konzentieren muss - und dann zusätzlich noch auf den zu tippenden Text! All das nimmt mir die Selectric ab und ermöglicht mir mit gleichmäßigem Druck in die Tasten zu hauen. Vertipper kommen vor, sind aber recht selten im Vergleich zur Olympia und vor allem der Erika. Dank der Korrekturfunktion sind sie auch kein Beinbruch mehr, da sie sich fast vollständig entfernen lassen 😇
Wenn ich mich konzentriere, bin ich in der Lage eine Geschwindigkeit von ungefähr 60 - 70 Wörtern pro Minute (WPM) auf einer mechanischen Computertastatur zu erreichen. Das ist nicht schlecht, reicht aber nicht aus, um die Selectric abzuhängen! Egal welchen Text ich eingebe; Die Maschine bringt alles fehlerfrei aufs Papier. Selbst ein Zeilenumbruch ist in gut einer Sekunde vollzogen und weiter geht es.
Das letzte mechanische Wunder
Kennzeichnend für diese fantastischen Maschinen sind Drei Komponenten:
- Ein elektrischer Motor, der über einen Riemen einen zentralen Schaft antreibt.
- Ein mechanischer Digital-Analog-Wandler, der einen Tastendruck in Rotation und Neigung des Kugelkopfes umsetzt.
- Der wechselbare Kugelkopf im sich bewegendem Wagen.
Eigentlich handelt es sich bei den Selectric-Maschinen um mechanische Schreibmaschinen, denn den Antrieb des Zentralschaftes kann man auch händisch vollführen. Der Elektromotor ist nur aus Bequemlichkeit da, weil der händische Betrieb mit einem kleinen Handrad mit gleichzeitigem einhändigem Tippen auf Dauer doch ein wenig ermüdend ist ...
In einem Kommentar unter einer alternativen Version des IBM-Werbevideos schreibt ein pensionierter Mechaniker, dass sie einst diese Maschinen vom Motor befreit und in ein Fass mit Lösungsmittel getaucht haben, um die Altöl- und andere Rückstände zu beseitigen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass dies stimmt. Bei meiner Selectric II war keinerlei Reparatur notwendig - Nur die Entfernung des mittlerweile 50 Jahre alten Schaumstoffes, des Staubes und verharzten Öls aus Lagern und Kontaktflächen sowie des Zurückdrücken des einen Fußes des Whiffletrees. Schon funktionierte das Maschinchen und begeisterte mich seither immer wieder.
Dennoch sei erwähnt, dass die Mechanik sehr präzise und bei der Wartung mit Bedacht vorzugehen ist. Mir selber ist dank einer Unachtsamkeit eines der am Wagen eingehangenen Zugseile für den Transport abhanden gekommen. Ich musste dann über Vier Stunden Zeit investieren, um den Mechanismus zurückzusetzen und den Wagen wieder funktionabel zu bekommen. Gott sei Dank gibt es fantastische Videos auf YouTube, die Schritt für Schritt zeigen, wie solche Defekte behoben werden können. Daneben gibt es auch überraschend viele Wartungshandbücher, besonders für die Feinjustierung, online.
Allerdings muss gesagt werden, dass die Ersatzteilversorgung in Europa so gut wie nicht mehr gegeben ist. Allerhöchsten kann man eine defekte Maschine erwerben und diese als Ersatzteilspender nutzen. Neue Ersatzteile gibt es nur noch in den USA und der Einkauf ist aktuell sehr teuer.
Die Drei Selectric Modelle
In den über 20 Jahren Bauzeit der Selectric gab es Drei Baureihen.
Urmodell IBM Selectric Typewriter
Das Urmodell aus dem Jahr 1961 zeichnet sich noch durch ein recht rundes und freundliches Design aus, welches durchaus die Masse der Maschine zu überspielen vermochte. Die danach folgenden Modelle waren deutlich eckiger und kanntiger. Auch verwendete das Originalmodell noch die klassischen Nylonbänder, im Gegensatz zu den Karbonbandkassetten, die mit den nachfolgenden Modellen eingeführt wurden.
So war die originale Selectric in der ersten Modellreihe noch sehr nah am technischen Stand der Konkurrenz. Man kochte halt auch nur mit Wasser. Das Alleinstellungsmerkmal waren die wechselbaren Kugelköpfe und so die Möglichkeit, die Schriftart zu wechseln.
Maschinen der ersten Serie sind heute zunehmend rar geworden. Ein auf Anhieb funktionierendes Modell zu finden gleicht einem Lottogewinn. Nach über 60 Jahren ist eine gründliche Reinigung inklussive dem Austausch der Schmiermittel unbedingt notwendig. Die mir zur Verfügung stehende Selectric konnte ich allerdings nicht mehr zum Leben erwecken. Mir fehlen Ersatzteile, die es in Europa so gut wie gar nicht mehr gibt. Diese sind allerdings aus den USA importierbar, was allerdings ein sehr teures Unterfangen ist und sich für mich nicht lohnt. So bleibt die schöne Maschine wohl ein formschönes Anschauungsobjekt.
IBM Selectric II
Mit der Selectric II im Jahr 1971 hielt neben dem neuen Design erstmals die Möglichkeit einzug, in Zwei Schriftzeichenabständen zu schreiben, auf Englisch heißt dieses Feature "Dual-Pitch". Das sorgte dafür, dass neue Typenelemente auf den Markt kamen, die ein engeres Schriftbild ermöglichten.
Die nächste Revolution wurde im Jahr 1973 enthült, als die IBM Correcting Selectric II vorgestellt wurde. Diese besaß eine Korrekturfunktion, mit der Tippfehler sehr schnell und zuverlässig beinahe vollständig entfernt werden konnten. Dafür betätigte man die Korrekturtaste, ließ so den Korb einen Buchstaben zurückfahren und man drückte die fälschlicherweise betätigte Zeichentaste erneut, so dass das Typenelement nun durch das gehobene Korrekturband auf das gedruckte Zeichen presste und es dabei vom Papier entfernte. Dieser Zaubertrick funktioniert nur dem korrigierbarem Polymerband, welches standardmäßig verwendet wurde.
Modelle der Serie II sind zahlreich am Markt vorhanden und oft in einem guten oder sogar gebrauchsfertigen Zustand zu bekommen. Die Standardfarben Grau und Beige sind am weitesten verbreitet. Es gibt aber auch Maschinen in Blau.
Alles, was ich nach der Ankunft tun musste, war das Gehäuse abnehmen, sämtlichen zerbröselnden Schaumstoff an der Innenseite des Gehäuses und unter der Tastatur entfernen sowie die Mechanik säubern und schmieren. Bei ihrer Ankunft allerdings zeigte die Maschine einen skurilen Fehler: Egal welchen Buchstaben ich eingab, die Maschine druckte entweder die Buchstaben "e" oder "z". Letztendlich war eines Elemente des Whiffletrees aus der Fassung gesprungen und blockierte den Drehmechanismus des Kugelkopfes. Nach vorsichtiger Korrektur sprang der Hebel zurück in Position und die Maschine funktionerte auf Anhieb tadellos!
Seither nutze ich die Selectric II beinahe täglich. Das Schriftbild ist tadellos und taugt auch für das Verfassen von Briefen, Schreiben oder zum Beschriften von Etiketten.
Von den Drei Selectrics, die ich besitze, nutze ich die Serie II am liebsten. Die Tastatur hat das kernige, haptische Feedback und die Maschine funktioniert einfach tadellos und zuverlässig.
Meine Selectric II ist im unten verlinkten / eingebundenen YouTube-Video "The Magic Of Writing A Letter With A Typewriter" zu sehen.
IBM Selectric III
Im Jahr 1980 wurde schließlich die letzte Version der klassischen Selectric vorgestellt, die Selectric III. Das herausstechendste Merkmal war die Einführung der neuen Kugelköpfe mit 96 Zeichen, die inkompatibel mit den vorherigen Selectrics waren.
Das Gehäuse war nur mit einigen Gummilippen bzw. -dichtungen und einer Klappe ausgestattet, was dazu beitrug, das unüberhörbare Betriebsgeräusch etwas zu dämmen.
Daneben war die Leiste für die aktuelle Zeichenanzahl und -position nun entsprechend des eingestellten Zeichenabstandes beleuchtet. Das herausragendste neue Merkmal war allerdings die neugestaltete Tastatur. Die nun eckigen und schwarzen Tasten, zusammen mit der neuen Tastenanordnung, sollte den Grundstein für die sehr bald danach kommenden PC-Tastaturen legen. Die legendäre IBM Model-M-Tastatur kann durchaus als Enkel der Selectric III-Tastatur angesehen werden.
Sucht man in den Versteigerungsplattformen nach den IBM Maschinen, wird man entweder auf angebotene Serien II oder III treffen. Maschinen der Serie III sind am jüngsten (Anfang bis Mitte 1980er Jahre) und daher meist in gutem Zustand. Allerdings muss auch hier der auf der Innenseite angebrachte Schaumstoff entfernt und die Mechanik gesäubert und geschmiert werden, bevor sie einwandfrei funktioniert.
Als Besondheit sei hier auf die Beleuchtung der Skalen für die aktuelle Zeichenposition verwiesen, die mittels zwei Glühlampen realisiert wird. Die Befestigung der stromführenden Drähte ist nicht besonders gut gelöst und verrutscht gerne beim Transport. Deshalb sollte zuerst geprüft werden, ob die Drähte fest in den Sockeln stecken, bevor die Glühbirne gewechselt wird.
Außerdem sitzt unter den Tasten der Tastatur eine Gummimembran, die im Laufe der Zeit spröde geworden ist und das Tippen auf der Tastatur erheblich stört. Diese Membran sollte entfernt werden, wozu meist die Entfernung einiger Tastenkappen notwendig ist. Dabei kann gleich jeglicher Schmutz entfernt werden.
Bei meiner Selectric III musste ich zusätzlich die abgebrochene Tabulatoren- Steuerungstaste mit Plastikkleber auf ihrer Fassung befestigen. Außerdem hatte sich die Verbindung von der Einschalttaste zum Schalter für den Motor gelängt, so dass ein Einschalten nicht mehr möglich war. Die Kupplung konnte nach Lösen der Verbindungen einfach gekürzt werden.
Durch eine Unachtsamkeit löste sich das Wagenvorschubseil, so dass ich dieses und das Wagenrückziehseil erneut aufspulen musste. Bei der notwendigen Demontage lernte ich das Innenleben und Zusammenspiel der Maschine fast vollständig kennen.
Inzwischen funktioniert auch die Selectric III ohne Probleme. Einzig das Schriftbild ist noch nicht 100% perfekt, aber zu 90% ist es da. Grund hierfür sind die Führungsarme für das Karbonfarbband, die wohl immer noch verschmutzt genug sind, um kleine Riefen in das Band zu kratzen, so dass Buchstaben nicht vollständig gedrückt werden können. Aber das ist nur eine Frage der gründlichen Reinigung.
Dank der modernen Tastaturergonimie und -anordnung (Das Fragezeichen liegt auf der ß-Taste und die Taste für Ziffer 0 schreibt diese auch tatsächlich), lässt sich mit ihr ungewohnt gewohnt schreiben. Die etwas gedämpftere Geräuschdämmung trägt dazu bei, dass die Selectric III die angenehmste und am ehesten einer PC-Tastatur gleichkommende Maschine aus der Reihe ist.
Links
- Eine fantastische und vor allem dank guter Zeichnungen verständliche Reperaturanleitung gibt es hier: https://site.xavier.edu/polt/typewriters/AmesElectric.pdf (Ab Seite 190 geht es um die Selectric)
- Eine sehr gute englische Übersichtsseite zur Selectric findet man hier: https://www.covingtoninnovations.com/selectric/
- Jede Menge Material bietet auch das Internet Archive: https://archive.org/search.php?query=ibm+selectric&sin=